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Transmedial: Sieben Einblicke, wie sich die Zukunft des Storytellings entwickeln wird
17.11.2011 Publizieren wird transmedial: Social Media geht ins Fernsehen, Formate werden mehrfach verwertet und die erzählten Geschichten liegen nicht mehr allein in der Hand des Autors. Sieben Einblicke zur Zukunft des Storytellings in Zeiten des Zusammenwachsens von Film, Buch und Internet.
Transmediales Erzählen gibt dem Leser die Chance, in der Geschichte zu bleiben, die Handlung weiter zu erkunden, mit den Charakteren zu interagieren, und die Geschichte mit seiner eigenen Vorstellungskraft weiterzuführen, meint Ondine. Ein Weg zurück in die "ursprüngliche Art des Geschichtenerzählens" zeichnet sich ab. "Sie werden weitergereicht, verändert und durch die Schleusen der Phantasie gespült und erweitert", sagt die ehemalige Copyright-Anwältin Ondine.
"Einfach eine wirklich gute Geschichte zu erzählen, die überall funktioniert", bedeutet transmedial zu erzählen, sagt Daniel Schwarz vom Spieleentwickler Takomat . Ein guter Song müsse auch auf der Hirtenblockflöte funktionieren. Wenn das erreicht ist, kann sie überallhin versetzt werden, ist sich Schwarz sicher und verweist zugleich darauf, dass es ein "fundamentaler Unterschied ist in der Romangattung zu bleiben oder für Leinwand oder Bildschirm zu erzählen." Transmediale Autorenschaft funktioniere dann am besten, wenn es ein "gutes Storyuniversum" gibt. Doch entscheidend bleibt die "Strahlkraft" der Geschichte, der Rest funktioniere dann nach alten Mustern.
Was dem einen wie eine Rettung vorkommen mag, ist für die anderen ein unzulässiger Eingriff. Ein Juwel dürfe nicht ergänzt, verfeinert oder verschönert werden. "Entweder ist es gut und es steht für sich alleine oder eben nicht", so die Formel der Kritiker des transmedialen Erzählens. Denn: Ist es nicht gut, helfen auch keine Erzähl-Teams mehr. Die Puristen und Verfechter des Originals plädieren dafür, dass eine Geschichte zu Ende erzählt und nicht durch fragwürdige Erweiterungen ergänzt wird.
Und die neue Harry-Potter-Plattform Pottermore.com
ist praktisch die interaktive Antwort des transmedialen Erzählens. Denn hier wendet sich die Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling
an die Nutzer ihrer digitalen Plattform, indem sie 44 Momente ihres ersten Bandes "Harry Potter und der Stein der Weisen" ausgewählt hat, auf die der Leser antworten soll, um so die Geschichte fortzusetzen.
In diesem Fall geht es der Autorin um die "fortgesetzte Lesefähigkeit der nachfolgenden Generationen" wie Rowling ihre Motivation für das digitale Projekt beschreibt. Doch anderen Autoren, die es nicht in gleicher Weise in der Hand haben, wird es kaum gefallen, dass ihr Werk von allen Seiten her verdreht, weitergespielt oder überzeichnet wird. Darüber hinaus steht noch die Frage des geistigen Eigentums im Raum. Wer möchte schon die einst hart erkämpften Nutzungsrechte wieder abgeben, nur um sich dem Multiplikations- und Erweiterungsschirm der neuen Medien zu überlassen? Sieben Aspekte rund um die Zukunft des Storytellings.
1. Zwei Seiten einer Medaille: Geschichtenerzählen und ihre Rezeption
Wenn es um das Erzählen von transmedialen Geschichten geht, sieht Achim Beißwenger Gründer von Audiovisual Media Days grundsätzlich zwei Ebenen:- High Involvement: Hier engagiert sich der Nutzer selbst, entwickelt die Geschichte mit eigenen Ideen und Bildern und Texten weiter, er hat das Gesamtkunstwerk im Auge - das sind echte Fans.
- Low Involvement: Hier steht der Konsum im Vordergrund, der Nutzer wird ggf. Bewertungen abgeben, aber kaum oder gar nicht aktiv in die Handlung eingreifen.
Das Geschichtenschreiben sei das eine, "aber der Aspekt der Rezeption ist ebenso wichtig", betont Beißwenger. Die unterschiedlichen digitalen Plattformen böten die Chance, dass ein und dieselbe Geschichte ganz unterschiedlich erlebt und erfahren wird, ist er sich sicher.
Strukturen ändern sich, neue Erzählperspektiven werden erschlossen. Somit kann transmediales Geschichtenerzählen ganz andere Ansprüche erfüllen als das Lesen eines klassischen Buches. Wichtig ist den Befürwortern, dass mit transmedial nicht gleich ein Abgesang der Lesekultur verstanden wird. Im sogenannten Transmedia-Manifest, das auf der Story-Drive Konferenz im Rahmen der Buchmesse verfasst wurde, heißt es daher:
"Die Kunst des Geschichtenerzählens ist seit jeher einem stetigen Wandel unterworfen. Durch die Digitalisierung und der damit einhergehenden Medienkonvergenz stehen wir wieder einmal vor einem Quantensprung. Zuschauer, Zuhörer, Leser, User und Spieler waren gestern. Der Mensch ist ein Erlebender, ein Experiencer, der je nach Mediennutzung und Haltung seine Rolle wechselt."
Elf Thesen zur Zukunft des Geschichtenerzählens |
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2. Vom Dreigestirn des Storytellings
Daniel Schwarz beschreibt das Tableau der Kreativabteilung der Geschichtenerzähler: Für ihn steht in der linken Ecke der Romanautor "zuständig für das Reich der Ideen und Meister der Vorstellungskraft." Bücher, ob als Print oder E-Book werden auch weiter im Reich der Vorstellungskraft ihren Platz haben, ist sich Schwarz sicher. Denn die Welt, so wie sie sich der Leser vorstellt, wird nie verschwinden.In der Mitte sitzt der Drehbuchautor, der für visuelle Medien schreibt. Er benutzt zwar die Grundtechniken des Romanautors, darf sich aber nicht in langen Textpassagen verlustieren. "Seine Aufgabe ist, die Story durch Handlungen und Dialoge darzustellen", sagt Schwarz.
In der rechten Ecke, gewissermaßen "als junger Bruder" sitzt der Autor für Computerspiele. Meist hat er mit klassischen Adventuregames angefangen und sich nun weiter entwickelt. Beim Gamesschreiber komme hinzu, "dass der Spieler auch noch agieren will", somit werde der Spieler zur Hauptfigur, skizziert Daniel Schwarz, und macht klar, dass alle drei - Roman-, Drehbuch- und Gameautor - die eine Heldenreise, die Hero's Journey, dient.
3. Eine Mischung aus Realbild, Animation und Interaktivität
Nun kommt auf die drei Autoren-Gattungen eine Veränderung zu, die durch die rasante Zunahme von mobilen, auf audiovisuelle Inhalte ausgelegte Endgeräte wie Smartphones und Tablet-PCs entsteht. Smartphones sowie videofähige Spielekonsolen tragen dazu bei, "dass sich ganz neue Erzählformate etablieren, die eine noch nicht gekannte Mischung aus Realbild, Animation und Interaktivität in sich vereinen werden", prognostiziert Achim Beißwenger.
Spannend werde es dann, wenn den Nutzern "hochwertige Mash-Ups zur Verfügung gestellt werden." Etwa eine Geschichte aus Bewegtbildern, "die mit eigenen Texten, Bildern und Musikstücken ganz individuell konfektioniert und interpretiert werden kann", meint Beißwenger. Die Heldengeschichten Hollywoods seien damit "vom Aussterben bedroht", schließt Beißwenger.
4. Die Phase des Übergangs
Daniel Schwarz spricht vom "Zeitalter des Übergangs und davon, dass der "heilige Gral des Interactive Storytellings noch nicht gefunden" wurde. Die Figuren im Spiel müssen wie ihre Kollegen in Buch, Film und Fernsehen vor allem eins sein: emotional glaubwürdig. Soll die Story dann auch noch interaktiv werden, müssten sie daher in Echtzeit emotional agieren und reagieren können. Dafür müsste der Spieleautor Charaktere bauen, die künstlich simuliert sind. Erst dann könne sich Storytelling aus dem Verhalten der Figuren heraus entwickeln.In dieser Zukunft des Interactive Storytelling, so Schwarz weiter, werden "Figuren mit ihren Motivationen und Zielen und Unzulänglichkeiten auf den Spieler oder Ereignisse im Spiel reagieren. Aber da sind wir noch nicht", sagt Schwarz klipp und klar. "Die Spiele-Industrie simuliert die Figuren nicht so variabel wie es nötig wäre", folgert Schwarz.
Aktuell besteht die Technik darin, "dass alle Bewegungen der Figuren von echten Schauspielern vorproduziert werden". Der Nachteil dieses Motion Capturing: Es zeichnet zwar die dreidimensionalen Bewegungen der Schauspieler auf, das Ergebnis ist allerdings genauso starr und unveränderlich auf die Festplatte gebannt wie früher der Film in der Filmkamera belichtet wurde. Es gibt keinerlei Variationen der Figuren. Sollte es sie geben, müssten beim derzeitigen Stand der Entwicklung verschiedene Varianten vorproduziert werden. Ein Aufwand, der nach Schwarz Ansicht nicht im Verhältnis zum Mehrwert für den Zuschauer steht und der sich beim Film schon nicht durchsetzen konnte.
Daher komme es, dass Blockbuster-Spiele wie Uncharted 3 so schön sind wie Kino, aber eben auch so linear sind wie Kino, erklärt Schwarz. Die Produktionsweise der Story-Spiele bringt keine vielfältige Interaktivität, sondern einen dramaturgisch wirkungsvollen, aber vorgestrickten Handlungsschlauch hervor. Auch das ausdruckslose Starren von Spiel-Figuren rührt daher, "dass man Augen nicht in Motion-Capture-Anzüge stecken kann", beschreibt der Mann von Takomat. Und erst recht könnten die Figuren den Spieler nicht wirklich ansehen, wenn der sich frei im Raum bewegt.
Solch wichtige Details der non-verbalen Kommunikation wie das Ansehen, die Blickverfolgung oder das Zurückweichen von Figuren machen eine interaktive Story-Situation aber erst glaubwürdig. "Wir stehen erst am Anfang des Animationssystems", um solche subtilen Dinge darstellen zu können, meint Schwarz. Er ist fest davon überzeugt, "dass es irgendwann soweit sein wird, dass der Autor die Character-Bible beschreibt und die Charakter Engine die jeweiligen Eigenschaften in Verhaltens-Algorithmen und Varialblen parametrisiert." Schwarz sieht die Zukunft im Emergent Storytelling: "Figuren müssen dann so ausgestattet sein, dass sie semiautonom handeln". Der digitale Homer Simpson würde sich dann immer über einen Donut freuen - egal, ob er ihn auf einer Werbetafel im Vorbeifahren sieht, oder der Spieler ihm einen aus der Schachtel entgegenstreckt.
5. Wie sich die Storys in den Games verändern
Die Richtung verändert sich schon jetzt immer deutlicher in den Games. Beispielhaft hierfür ist etwa das neue Spiel von Eric Cahi "From Dust ", der als einer der ersten Autoren in einem Spiel Mittel des Kinos effektiv einsetzt ("Another World ") und auf unterschiedliche Perspektiven achtet sowie darauf, eine Geschichte über Zwischensequenzen zu erzählen.
Die Dramaturgie in Spielen befindet sich seit jeher "im Spannungsfeld zwischen Open World und Linearität", meint Rudolf Inderst
, Ressortleiter Digitale Spiele beim Kulturmagazin Titel
: Entwickler müssten sich stets die Frage stellen: "Wie viel Spieler-Freiheit beeinflusst in welchem Maße die Dramaturgie des Titels?" Schließlich werden sich die Rollen zwischen Autor und Nutzer mehr und mehr verwischen, je stärker sich das interaktive Element im Spiel durchsetzt. Bei Spielen im Bereich Clean Energy, bei denen es darum geht, ein Land mit emmissionsarmer Energie zu versorgen, wird der interaktive Part einen großen Schub bekommen, meint Gerd Leonhard.
6. Die Community wird zum Mitautor
Der Schub ist auch die Community selbst, die die Eingaben als Mitautorenschaft gibt. "Sie agiert als dynamisches Moment", glaubt Daniel Schwarz. Durch hochgeladene Beiträge im Web 2.0 werde das Rohmaterial des Storytelling als Input geliefert. Somit können kollektiv hergestellte Filme entstehen. "Doch die Dramaturgie", betont Schwarz, "muss der Spezialist herstellen, denn eine Handlung gibt es noch nicht." Ein Potpourri von Ideen ist noch keine Story. Zwar habe das Crowdsourcing ein "großes Potenzial", so Schwarz. Das globale Gehirn brauche aber immer auch einen Autor, der das Rohmaterial durch seine Art die Welt zu sehen zu einem Plot verdichtet.Die Grundlage für gute Geschichten ist für Schwarz der Geschichtenerzähler, "der in einem Kopf verhaftet ist und mit einer Stimme spricht." Denn eine gute Story brauche eine Kernaussage, eine sogenannte Prämisse - die sollte aber immer die persönliche Ansicht und Aussage eines Autors sein: "Seht her, so ist die Welt und das Leben!" Doch das interaktive Storytelling, in dem die Handlung der Zuschauer immer größere Auswirkungen haben wird und Games zu offenen Simulationen werden, wird deutlich zunehmen, sagt Schwarz voraus.
Aber der Trend gehe eindeutig dahin, "dass Geschichtenerzähler, die es verstehen eine dramaturgisch fesselnde Story zu erzählen, auch für verschiedene Medien arbeiten bzw. ihre Story in verschiedenen Teams jeweils für unterschiedliche Medien aufarbeiten oder aber die Geschichte von vornherein so produzieren, dass sie auch in konvergierenden Medien funktioniert", sagt Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky
von 2b AHEAD
. Die Spielfilme, die zu Games geworden sind und die Games, aus denen Filme geworden sind, zeigen das sehr deutlich.
Was bedeutet das für den Bereich Intelectual Property? "Geistiges Eigentum wird nicht mehr der wichtigste Dreh- und Angelpunkt in den Medien sein", glaubt Gerd Leonhard
von The Futures Agency
. Denn wenn ein loyales Publikum da ist, dann spiele die Kontrolle über den Vertrieb - also das Kopieren - immer weniger eine Rolle, sondern die Aufmerksamkeit und deren Umwandlung in Einnahmen, ist das worum es wirklich geht, so Leonhard. "Die Storys der Zukunft gehören nicht mehr unbedingt einer Person oder einer Firma, sondern sie werden immer mehr zum öffentlichen Gut." Jeder, der mitwirkt, ist Mitautor. "We own it together", lautet dann die Devise.
7. Digitaler Darwinismus oder Survival of the best
Für den Media-Futuristen Leonhard ist der Anspruch an die Story durch den "digitalen Darwinismus" noch größer geworden. Das Prinzip "Survival of the best" habe noch zugelegt, das Level sei höher als jemals zuvor. Leonhard sieht eine dramatische Erhöhung der Ansprüche an die Story, "die viel mehr Echtzeit bieten muss".Sie müsse seiner Meinung nach immer dort sein, wo die Leser sind, und dürfe keine falschen Fakten mehr enthalten. Das potenzielle Publikum werde größer, und somit auch der Filter. Für Leonhard ergibt sich eine "Tyrannei der Qualität", die nur diejenigen Geschichtenerzähler belohnt, die es verstehen, diesen hohen Anspruch zu erfüllen.
Für das Storytelling liegt darin somit ein Pool uneingeschränkter Möglichkeiten, in denen sich Qualität behautet. Daraus ergibt sich eine Fragmentierung, glaubt Leonhard, denn der Erfolg von Storytelling wird in den jeweiligen Nischen stattfinden, "nicht mehr auf allen Ebenen." Früher habe das Prinzip "one to many" gegolten, heute heiße es "many to many".
Wohin sich der Trend entwickelt
Einen Grundtrend sieht Inderst im "crossmedialen Arbeiten und Vermarkten von Produkten und Marken." Beides greife immer weiter um sich und ziehe weitere Kreise: "Spiel zum Film", "Buch zum Spiel", "Comic zu Spielfiguren". "Dabei kann im Planungs- und Marketingrausch vermutlich kaum noch Rücksicht auf die Eigenheiten der Medien genommen werden - herauskommt dabei dann oftmals ein generisches, unoriginelles Artefakt", glaubt Inderst.Für Leonhard liegt die kreative Energie dort, wo sich die Werbung hin bewegt - in Richtung Mobile und Social Media. Microsoft Connect, eine freie Zugangsseite zu Vorabversionen, mit Branded Content von Advertisern, ist so eine Variante. Für Leonhard gut vorstellbar, "dass viele Storys auf diesen Plattformen funktionieren."
Die Frage, ob sich transmediales Storytelling durchsetzen wird oder doch nur die eine Geschichte in sich geschlossen bleibt, wird eng verknüpft sein mit der Qualität, für die die Nutzer immer mehr selbst verantwortlich sein werden. Gelingt ihnen die dramaturgische Kurve, wird es kaum noch Tabus und Beschränkungen geben. Denn in jedem steckt ein Storyteller.