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Einhorn-Dämmerung: Der Anfang vom Ende des Plattform-Kapitalismus
03.03.2016 Der Krieg zwischen Politik und Internet-Großunternehmen gewinnt an Fahrt. Letztere fokussieren auf die kleinen, lukrativsten Teile der Wertschöpfungskette und überlassen die weniger gewinnträchtigen Reste - von der Sozialversicherung bis zu den Folgekosten - der Gesellschaft. Doch nun zeigt sich die Sollbruchstelle dieses Plattformkapitalismus, für die ersten Start-ups wird es bereits ernst.
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Reine Plattform wie AirBnB, Uber und Co wollen nur die Rosinen aus dem Kuchen: Den Gewinn. Alles was ihn drückt wird externalisiert, ausgelagert: Lohnsklaven sorgen für die billigen Preise, Risiken müssen Nutzer und Gemeinschaft tragen. Doch es zeigen sich erste Zeichen für eine Dämmerung dieses Prinzips - denn die ersten Einhörner entdecken mit steigendem Erfolg die Grenzen des Plattform-Prinzips. Es hat schon begonnen, auch in Deutschland.
Der Reinigungskräfte-Vermittler Bookatiger stellt zu hunderten Arbeitskräfte in Vollzeit an - man muss wissen, wie sehr das der DNA dieses Unternehmens und vieler ähnlicher Startups widerspricht, um die Bedeutung dieser Meldung bei Spiegel Online zu erfassen: "Das ist nicht nur eine Änderung des Geschäftsmodells, das ist eine 100%ige Umkehrung", sagt Startup-Experte und Chefredakteur des Branchendienstes DeutscheStartups.de Alexander Hüsing (auf eine Anfrage, wie Bookatiger selbst die neue Strategie begründet, hat das Unternehmen bis Redaktionsschluss nicht reagiert).
Denn Start-ups wie Bookatiger und Mitstreiter wie AirBnB oder Uber streben einem Ideal nach, das ihnen ihr Allvater Instagram vorgegeben hat: Mache möglichst viel Kohle und erziele eine hohe Bewertung bei minimalen Assets. Und in den meisten Fällen bedeutet minimale Assets: Den Verzicht auf festangestellte Arbeitskräfte. Doch die Analyse des Start-up-Marktes und der aktuellen Rahmenbedingungen zeigt: Das Instagram-Prinzip ist für die fast alle seine Nachahmer zum Scheitern verurteilt.
Was bei Bookatiger geschieht - die Abkehr vom Instagram-Prinzip des kaum-vorhandenen Personalstammes - greift um sich.
- Lierferdienst Foodora expandiert und sucht verstärkt nach Vollzeit- und Teilzeitkräften , nicht nach Freelancern.
- Hüsing sagt, dass "eine ganze Reihe von Start-ups Millionenbeiträge zurückgelegt haben: Sie befürchten, dass der Staat die Freelancer als Scheinselbstständige einstuft und Sozialversicherungsbeiträge nachfordert."
- Auch in den USA heuern einige Start-ups, die zuvor auf Freelancer setzten, nun festangestellte Arbeitskräfte an, so etwa Altenpfleger-Vermittler Honor .
Doch das wichtigere Bündel an Problemen erwächst den externalisierenden Start-ups aus einer ganz anderen Quelle: Ihrem Erfolg. Denn externalisieren läuft nur solange richtig gut, wie man den Durchbruch nicht geschafft hat.
Die fünf Probleme der Externalisierer
Wer alle unangenehmen Aspekte eines Geschäftsmodelles hinaus externalisiert und dem Schwarm der (meist mies entlohnten) Leistungserbringer überlässt, steht bald vor einem von fünf Problemen.1. Problem: Scheinselbstständigkeit
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Jetzt Mitglied werden2. Problem: Erosion des Geschäftsmodells steht im Business Plan
Uber mag einmal als Mitfahrzentrale konzipiert worden sein: Als Dienst, der es Privatmenschen erlaubt, auf dem Weg von A nach B ein paar Cent zu verdienen, indem sie jemanden mitnehmen. "Doch dieses Konzept würde zwangsläufig nur einen Bruchteil der Nachfrage erzeugen", sagt Nils Högsdal
, Professor für Corporate Finance und Entrepreneurship an der Hochschule der Medien Stuttgart
. "Wenn also private Unternehmen bei Mittler-Plattformen ihre Dienste anbieten oder Menschen in Vollzeit als nicht-lizenzierte Taxifahrer arbeiten, dann wird das von den Unternehmen möglicherweise stillschweigend geduldet."
3. Problem: Fehlende Planungssicherheit
Glaubt man Branchen-Bewertungsplattformen wie etwa Putzchecker
haben Bookatiger, Helpling
und Co. ein Problem damit, Termine einzuhalten: Eine Vielzahl von Bewertungen moniert Sornierungen durch das Unternehmen oder Putzkräfte, die einfach nicht auftauchen. Diese Krankheit befällt vor allem Unternehmen mit Freelancern; festangestellten Kräften gegenüber sind die Firmen dagegen nicht nur weisungsgebunden, sondern können in vollem Umfang über deren Kapazitäten entscheiden.
4. Problem: Qualität der Dienstleistungen
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Jetzt Mitglied werden5. Problem: Das Wachstumproblem
Das garvierendste Problem ist das der Auslastung: "Wenn ein Unternehmen stark wächst, kommt der Schwellenmoment, der Investitionen erfordert: Das Startup Flyeralarm schob zunächst Druckaufträge an nicht-ausgelastete Druckereien weiter", sagt Högsdahl. Mit wachsendem Erfolg zeigte sich jedoch, dass Fyleralarm das Zeug hatte, eine eigene Druckerei auszulasten und begann in eigene Druckmaschinen zu investieren. Das kann ökonomisch betrachtet ebenso sinnvoll sein, wie planerisch, weil man sich nicht mehr darauf beschränken muss, die Restkapazitäten anderer Unternehmen zu maklern.
Es zeigt sich also: Erfolg und Skalierbarkeit vertragen sich nicht immer. Sobald ein Unternehmen in den Mainstream rutscht, zeigen sich die Grenzen des Assets-Light-Modells, das alles was Kosten verursacht außerhalb der Unternehmensmauern ansiedelt. Wird es nötig eigenes Personal und eigene Infrastrukturen zu unterhalten, müssen andere Kostenblöcke gestemmt werden und zudem: Planerisch muss genauer gearbeitet werden. Ist es noch egal, was ein Freelancer treibt, solange er nicht für einen arbeitet, so muss eine Vollzeitkraft ausgelastet werden,. damit sie sich für das Unternehmen rechnet. Und das muss ein Putzdienstvermittler erstmal logistisch hinbekommen, der hundert Reinigungskräfte im Laufe eines Arbeitstages zu mehreren hundert Terminen im Großraum Berlin, München oder Hamburg schicken muss.
Vor diesem Hintergrund bricht für notorische Externalisierer mit dem großen Erfolg zugleich die Stunde der Wahrheit an: Sie müssen sich für eine Strategie entscheiden, die über ihre weitere Zukunft entscheidet.
Arbeitskräfte oder den Geschäftsbetrieb einstellen? Entwicklungsszenarien für die Startup-Branche
Strategie 1: Wachsen
Die Startups stellen Mitarbeiter fest an und setzen auf den Erwerb von Assets (eigene Lagerhallen und eigene Fahrzeuge für Bringedienste etwa, eigene Druckmaschinen im Falle von Flyeralarm). Das führt idealerweise dazu, dass das Geschäft auf eine solide Basis gestellt wird und sich von den Kapazitäten der Zulieferer und der Qualität der Freelnacer emanzipiert. Oder es geht ganz furchtbar schief, wie im Falle von Lieferdienst Webvan: "Ein Milliardeninvest in Lagerhallen und andere Asstes stellte sich als das falsche Investment heraus, so dass die Firma von den Kosten aufgefressen wurde", sagt Hüsing und prognostiziert für Bookatiger, dass das "Unternehmen nun beweisen muss, dass es ein großes Unternehmen mit tausend Mitarbeitern aufbauen kann."
Strategie 2: Die Amazon-Strategie
Die Strategie, die auch Amazon
für sein zweites Standbein wählte - denn neben einem Onlineshop ist der Webgigant auch ein B2B-Dienstleister, der unter anderem als Amazon Webservices
Cloudservices offeriert und Big Data Analysen und vieles mehr anbietet. Die Bookatigers und Helplings und Ubers dieser Welt könnten, sollte ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktionieren, auch Datendienstleister werden. Mit ihrer Expertise könnten sie beispielsweise Software für Routenoptimierung von Logistik-Mitarbeitern anbieten oder Lösungen, die Firmen bei der bestmöglichen Auslastung von Arbeitskräften unterstützen.
Strategie 3: Ausbau zu ECommerce-Firma
Bookatiger, Helpling und Co könnten Spezialshops werden, die Putzmittel anbieten, Nasstaubsauger vermietet oder Putzroboter vertreibt.
Strategie 4: Weitermachen ohne Erwerb von Assets
Oder aber man macht weiter wie bisher: Das haben verschiedene Startups bereits angekündigt, so zeigt etwa Helping keine Ambitionen irgendetwas anderes zu werden als eine Plattform (im Interview mit der Wiwo
). Für andere erscheint es aus reiner Praktikabilität ausgeschlossen, eigene Assets zu erwerben: "Airbnb etwa wird sich keine Immobilien zulegen, während Asset-Erwerb bei anderen anderen Start-ups Teil der Entwicklung ist. Am Ende ist es eine simple Make-or-buy-Betrachtung der Kosten: Was ist teurer, selber machen oder nicht?", sagt Nils Högsdal.
So bieten sich vier Szenarien dafür an, wie die auch gerne als Plattform-Kapitalismus bezeichnete Externalisierungs-Strategie vieler Startups weitergehen wird.
Vier Szenarien für die Externalisierungs-Kultur der Startup-Branche
Neue Firmen überleben
Alle Start-ups werden früher oder später richtige Firmen mit eigenen Assets oder gehen pleite. Externalisierung funktioniert auf Dauer nicht - ebenso wie die Geschäftsmodelle der alteingesessenen Player, die anch und nach vom Markt verschwinden.
Manche überleben, andere nicht
Manche Startups werden erfolgreich Firmen wie Mitarbeitern und anderen Assets, andere setzen eher auf den Ansatz, Daten- und Software-Dienstleister zu werden, für einige funktioniert der Plattformansatz weiter und von manchen hört man nie wieder.
Plattformen überleben
Auf Dauer haben nur Plattformen wegen der besseren Margen Chancen auf Erfolg. Start-ups wie Bookatiger, die richtige Firmen werden wollen, überheben sich irgendwann an den zu hohen Kosten und verschwinden wieder vom Markt
Alte Firmen überleben
Restriktionen durch den Gesetzgeber und die mangelhafte Qualität der von den Freelancern erledigten Jobs sorgen dafür, dass die Plattform-Kapitalisten nach und nach aussterben. Die alten Player (Taxis, Reinigungsfirmen, Hotels…) behalten den Markt für sich
Am: 03.03.2016