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Männerwelt Multimedia-Industrie: "Kann ich mal den Chef sprechen?"

von JanaJ

03.11.1997 "Vor allem in kleineren Multimedia-Agenturen, die sich in der Regel durch flache Hierarchien und junge Geschäftsführerriegen auszeichnen, haben Frauen gute Chancen", so das Selbstbild der Branche. Pustekuchen. Unsere Analyse belegt: In kaum einer deutschen Branche gibt es so wenig führende Frauen wie in der Multimedia-Industrie.

München. Die deutsche Multimedia-Branche erweist sich als ausgesprochen männerdominiert.

Eine Analyse der Redaktion, die die Führungsetagen der rund 1.500 deutschsprachigen Multimedia-Dienstleister untersucht hat, beweist das Gegenteil der Branchen-Selbsteinschätzung. Von überdurchschnittlicher Frauenfreundlichkeit kann dort keine Rede sein: Mul-timedia-Unternehmen wer-den nur zu sieben Prozent von Frauen geführt. Das Statistische Bundesamt er-rechnet demgegenüber für die gesamte Wirtschaft, dass einer von vier Ge-schäftsführern eine Geschäftsführerin ist. Auch wenn diese Zahl Friseursa-lons und Onkel-Otto-Läden mit einschließt, widerspricht der Rückstand diametral dem Selbstbild der Bran-che.

Denn die Multimedia-Industrie sieht sich selbst als Chance für Frauen: Als relativ junger Wirtschafts-zweig ohne festgefahrene Strukturen glaubt sie sich geradezu prädestiniert für innovative Arbeitsformen und Organisationsstrukturen.

Vor dieser Selbsttäuschung sind auch die wenigen Ge-schäftsführerinnen nicht gefeit: "Vor allem in kleine-ren Multimedia-Agenturen, die sich in der Regel durch flache Hierarchien und jun-ge Geschäftsführerriegen auszeichnen, haben Frau-en gute Chancen, Karriere zu machen. Männer res-pektieren Frauen zuneh-mend nicht nur als Kolle-ginnen, sondern auch als Vorgesetzte" meint bei-spielsweise Friederike Hein, seit kurzem Mitglied der Geschäftsleitung von Medialab. Auch Susanne Kamm, Geschäftsführerin des Jolly Medienhauses sieht in den "vielen Self-made-Unternehmen der Branche eine Unterneh-mensstruktur, die Frauen entgegenkommt."

Dabei enthüllt die Branche selber das Gegenteil: Ein schlichtes Zählen der im multiMEDIA-Jahrbuch '97 eingetragenen Geschäftsführerinnen und Geschäfts-führer von Multimedia-Dienstleistern führt zu ei-nem Frauenanteil von nur sechs Prozent. Ein Wert also, der das Ergebnis der multiMEDIA-Erhebung so-gar noch um einen Punkt unterbietet.

Die Gründe dafür, dass die Multimedia-Industrie trotz ihrer guten Voraussetzun-gen nur so wenig weibliche Chefs vorweisen kann, sind vielschichtig:

Historisch stammt ein Großteil der heutigen Mul-timedia-Unternehmen von den Programmierbuden der 80er und 90er Jahre ab. Sie sind also zu einer Zeit entstanden, in der tiefge-hende Programmier- und Hardwarekenntnisse noch unersetzlich waren. Com-puterbastelei ist aber nicht weiblich: "Gerade im tech-nischen Bereich verläuft die Sozialisation von Mädchen und Jungen noch sehr un-terschiedlich" begründet Lydia Rosen vom Berliner Frauen-Computer-Zentrum die mangelnde Technikaffi-nität vieler Frauen.

Diese hat dazu geführt, das überproportional mehr Männer Multimedia-Unternehmen gegründet haben - die heute als Ge-schäftsführer an ihren Un-ternehmen beteiligt und rechtlich für diese verant-wortlich sind. Dass im tech-nischen Bereich auch heu-te noch ein Nachholbedarf besteht, belegt ein Blick auf die Personalstruktur der Multimedia-Dienstleister: Technik und Programmie-rung liegen dort fast aus-schließlich in Männerhand. Auch für die nähere Zu-kunft scheint wenig Ände-rung in Sicht: Heike Seiffert vom Friedrichshafener Ausbildungsinstitut Interac-tiv konstatiert: "Je techni-scher der Kurs, desto hö-her der Männeranteil".

Trotzdem gibt es sie, die Frauen in Führungs-positionen. Helga Waterkotte, bei-spielsweise, Geschäftsfüh-rerin der Hamburger Multi-media-Agentur Dock Me-dia. Doch sie sieht sich in ihrem Berufsalltag oftmals typisch männlichen Vorur-teilen ausgesetzt: "Wenn wir vor männlichen Ge-schäftspartnern unsere neuen Multimedia-Titel prä-sentieren, fragen die oft "Programmieren -- können Sie das eigentlich?", be-schwert sie sich über die ach so frauenfreundliche Multimedia-Branche.

"Geschäftsführerin" dürfen sich überhaupt meist nur diejenigen Frauen nennen, die zu den Gründungsmitgliedern des jeweiligen Betriebes gehören. Nur als Mitgründerinnen haben sie offenbar eine Chance, in die erste Führungsebene zu gelangen. In der inner-betrieblichen Hierarchie ist es für sie dagegen ungleich schwerer, ganz nach oben zu kommen.

Ein Indiz dafür ist die Be-zeichnung ."Mitglied der Geschäftsleitung", die bei Frauen besonders häufig auftritt und auf eine zweite Führungsebene hinweist: Frauen mit diesem Status sind in der Regel einem männlichen Geschäftsfüh-rer - dem Unternehmens-gründer - untergeordnet und ihm gegenüber recht-lich nicht gleichberechtigt.

Für potentielle Gründerin-nen sind wiederum die Banken ein Stolperstein: "Solange Sie noch im ge-bärfähigen Alter sind, sto-ßen Sie bei der Kreditver-gabe auf Schwierigkeiten" weiß beispielsweise Su-sanne Kamm vom Jolly Medienhaus aus eigener bitterer Erfahrung.

Aber selbst wenn sie alle äußeren Hindernisse über-wunden haben, mit ge-schlechtsspezifischen Vor-urteilen werden auch Ge-schäftsführerinnen konfron-tiert: "Oftmals werden auf Kundenseite einfach männ-liche Chefs erwartet" ärgert sich Stephanie Schmidt von Interactive Online Services. So ist die Frage "Kann ich mal den Chef sprechen?" nach Aussage von Barbara Fischer, Geschäftsführerin der Murnauer Economic Handling, durchaus keine Seltenheit. Die positive Selbstein-schätzung der Branche trifft auf die Mitarbeiterinnenebene schon eher zu. Bei den von multiMEDIA be-fragten Dienstleister-schwankt der Frauenanteil zwischen 25 und 50 Pro-zent. Im Schnitt dürfte er bei etwa 40 Prozent liegen, was etwa dem Bundes-durchnitt entspricht.

Dabei fällt auf, dass die beschäftigten Frauen vor allem im kreativen oder or-ganisatorischen Bereich tä-tig sind: Die Ressorts Gra-fik-, Multimedia- und Scre-endesign sowie Projektma-nagement, Marketing und Konzeption sind in hohem Maße weiblich besetzt.

Kein Wunder, denn hier sind die - ebenfalls soziali-sationsbedingten - frauen-spezifischen Qualitäten Teamfähigkeit, Organisati-onstalent und Sozialkom-petenz gefragt. Sie gelten als typisch weibliche Attri-bute und werden im Multi-media-Bereich hoch ge-schätzt. Die Münchener Ausbildungsinstitute Mac-romedia und Mediadesign sprechen Frauen daher ge-rade im Projektmanage-ment die besseren Berufs-chancen zu. Friederike Hein hält Frauen sogar ge-nerell für die besseren Ma-nager: "Männer benötigen zusätzlich eine Sekretärin, die für sie organisiert. Ein Unternehmer, der eine Frau einstellt, spart sich die Sekretärin."

Trotzdem sind es noch im-mer vorwiegend Frauen, die mit der Frage "Wie schaffen Sie es, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren?" konfrontiert werden. Dass es aber Aus-wege aus diesem Dilemma gibt, beweist Christiane Baumgarten von Pixelpark: Obwohl sie Mitglied der Geschäftsleitung ist, hat sie - als Mutter einer dreijähri-gen Tochter - eine Drei-Tage-Woche. Sie kann sich auf einen Partner verlassen " der diese Arbeitsteilung mitträgt." Glück gehabt?

So kommen Frauen in der Multimedia-Industrie nach oben

Die von multiMEDIA be-fragten Geschäftsführerinnen gaben Tips, wie frau in der Multimedia-Industrie erfolgreich wird:

1. Systematische Karriere-planung: Werden Sie sich über ihre mittel- und langfristigen Ziele klar und arbeiten Sie ziel-strebig darauf zu.

2. Stärken als solche darstellen: Teamfähigkeit, Sozialkompetenz und Geschick bei der Problemlösung sind nicht selbstverständlich. Setzen Sie diese Fähigkeiten nicht nur ein, sondern weisen Sie (z. B. in Personalgesprächen) aktiv darauf hin.

3. Eigeninitiative und Engagement: Bringen Sie sich aktiv in Ihr Unternehmen ein. Machen Sie sich mit eigenen Ideen und Vorschlägen in den Köpfen Ihrer Vorgesetzten präsent.

4. Rechte einklagen: Bestehen Sie darauf, dass für Ihre spezielle Situation Lösungen gefunden werden und lassen Sie sich nicht in die "Weibchenrolle" drängen.

5. Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein: Verlassen Sie sich auf Ihre Kompetenzen und stellen Sie diese gegenüber ihren Vorgesetzten heraus.

6. Verantwortung übernehmen: Zeigen Sie, dass Sie bereit sind, eigenverantwortlich zu handeln und Projekte zu übernehmen.

7. Hahnenkämpfe umgehen: Statt männliche Verhaltensmuster nachzuahmen, beweisen Sie, dass Sie derartige Machtspielchen nicht nötig haben.

8. Schwächen ausbügeln: Arbeiten Sie beispielsweise an Ihren technischen oder betriebswirtschaftlichen Kenntnissen.

9. Coach suchen: Suchen Sie sich jemanden in der Geschäftsleitung oder außerhalb Ihres Unternehmens, von dem Sie etwas lernen können, der Sie fördert und Sie bei der Verwirklichung Ihrer Karrierepläne unterstützt.

10. Den Sprung wagen: Wenn die Selbständigkeit Sie reizt, dann trauen Sie sie sich zu! Es gibt dümmere Männer, die es bereits geschafft haben.

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