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Digitaldeutschland und die Flüchtlinge: Aktionen, Chancen, Initiativen
09.09.2015 #RefugeesWelcome: Die Welle der Flüchtlinge, die in diesen Tagen und Wochen Deutschland erreicht, ist das Beste, was diesem Land passieren konnte. Wenn wir diese Chance auch nutzen. Dazu ist vor allem die Interaktivbranche gefordert. Wir dokumentieren digitale Hilfsprojekte - und die Chancen für den Digitalstandort Deutschland.
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- Denn das eine ist ein labyrinthisches Menschen-Schlachthaus, erst jüngst befeuert durch Waffenlieferungen von Putin an Diktator Baschar al-Assad.
- Das andere ist ein besonders brutales Regime mit unbegrenztem Militärdienst, kontinuierlicher Folter und Unterdrückung des an repressiven Regimen nicht armen Kontinents.
"Flüchtlinge" ist heute genau so falsch wie früher "Gastarbeiter": Denn beide Begriffe unterstellen, dass die Menschen ganz bald wieder gehen werden. Doch das ist eben falsch. Die Flüchtlinge aus beiden Ländern werden auf viele Jahre in Deutschland bleiben. Zuerst als "Vertriebene". Dann als "Einwanderer".
Abgesehen von der humanitären, politischen und sozialen Notwendigkeit, diesen Menschen jetzt kurzfristig eine Zuflucht zu geben: Die in der Öffentlichkeit so genannte "Flüchtlingswelle" (die in Wirklichkeit eine Einwanderungswelle ist) ist meiner Meinung nach das Beste, was unserer Republik seit der Wiedervereinigung passiert ist. Wenn die Chance auf Veränderung genutzt wird.
Gleichzeitig zeigt diese Einwanderungswelle-to-be, wie in Zeiten von Internet und Globalisierung die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaften aussehen wird:
- Die Welt wird immer globaler. Probleme im einen Teil unserer Welt schlagen unmittelbar auf uns zurück.
- Die Welt wird immer vernetzter. Monokausale Lösungsansätze stehen immer seltener zur Verfügung.
- Die Welt wird immer mobiler: Smartphones sind längst kein Luxusgut mehr - sondern Kommunikationstool der Mehrheit. Mit Smartphones haben die Ex-Flüchtlinge nicht nur ihre Flucht organisiert - sondern organisieren täglich die Kommunikation mit den Zurückgebliebenen in der (ehemaligen) Heimat.
- Unser Arbeitsmarkt wird internationaler werden. Englisch wird als Lingua Franca in immer mehr Mittelständler und KMUs einziehen, so wie es heute schon die interne Sprache von Großunternehmen und Digitalfirmen ist - es sei denn, Handwerksmeister wollen mit ihren künftigen Lehrlingen arabisch sprechen, bis sie deutsch können.
- Unsere schöne, einfache, kleine, heimelige Welt bleibt zwar schön, aber immer weniger einfach, weniger klein und weniger heimelig. Und da helfen keine Pegida-Sprüche und Populisten-Rezepte: Zum 20. Jahrhundert führt nie wieder ein Weg zurück.
Die Internetbranche sollte jetzt nicht nur weise mit dem Haupt nicken - hat man doch diese Entwicklungen schon seit Jahren prognostiziert - sondern selbst aktiv werden. Schließlich kann die deutsche Internetbranche als Branche selbst mehr als andere von der Entwicklung profitieren.
Hunderte von Mitarbeitern von Internetunternehmen, Dienstleistern, Software-Anbietern und Agenturen haben sich in den vergangenen Wochen in Flüchtlingsinitiativen engagiert, haben gespendet, haben sich gegen den Unterkünfte anzündenden Rechtsterrorismus gewandt. Aber die Zahl der digitalen Initiativen und der Interaktivunternehmen, die hier bereits aktiv geworden sind, ist noch überschaubar:
Eine der wenigen Kampagnen ist die unter dem Titel 'Blogger für Flüchtlinge - Menschen für Menschen
: Die Spenden-Sammelaktion der Blogger Karla Paul
(Buchkolumne
), Nico Lumma
(Lummaland
), Stevan Paul
(Vielfach Kulinarisch
) und Paul Huizing
(Einfach lecker essen
) war vor zwei Wochen auf der gemeinnützigen Online-Spendenplattform Betterplace.org
gestartet. In bester Social-Media-Manier waren alle Blogger Deutschlands aufgefordert, ihren Spendenaufruf zu verbreiten
. In 14 Tagen sind von über 1.200 Spendern knapp 100.000 Euro zusammengekommen. Insgesamt haben sich die MacherInnen als Spendenziel 250.000 Euro vorgenommen.
Weitere interaktive Aktionen in Deutschland sind (weitere Aktivitäten bitte in den Kommentaren hinterlassen):
- Der Provider UD Media
hat angekündigt, Flüchtlingsprojekte mit kostenlosem Webspace und eigener Domain zu unterstützen (Interessierte kontaktieren UD Media per E-Mail unter info@udmedia.de oder telefonisch unter 02431-9038190).
- Bei der Aktion Bücher sagen Willkommen
will die Deutsche Buchbranche neben einer Spendenaktion Lese- und Lernecken in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften einrichten. In Bildungszentren oder Sprachschulen sollen neben Deutsch-Lehrbüchern, Wörterbüchern und Lexika auch Romane und Sachbücher in Fremdsprachen angeboten werden. Träger sind der Börsenverein des Deutschen Buchhandels
, die Frankfurter Buchmesse
und die Organisation Litcam.
- Flüchtlinge Willkommen
ist ein privates Wohnungs-Vermittlungsportal zur Unterbringung von Flüchtlingen, organisiert von dem Berliner Studio Coolio
und unterstützt von zahlreichen Medien.
- Um Asylsuchende und deren Betreuer zu unterstützen, hat der Langenscheidt Verlag ab sofort Arabisch in sein kostenloses Online-Wörterbuch
integriert.
- Helphelp2
des Münchner Fotografen Rüdiger Trost
ist eine App, die Spender und Hilfsorganisationen zusammenbringen will. Startet man die App sieht man die Annahmestellen für Spenden in seiner Gegend und was dort aktuell gebraucht wird. Möchte man etwas Gutes tun, startet man während seines Einkaufs die App, kauft benötigte Produkte ein und bringt sie an den angezeigten Standort der Spendenannahme. Organisationen, die Spenden sammeln, können sich online registrieren.
- "Refugees Welcome" heißt es auch bei der karitativen Non-Profit-Organisation Gaming-Aid e.V.
. Um schnelle und unbürokratische Flüchtlingshilfe zu leisten ruft Gaming-Aid unter dem Hashtag #Gaming-Aid4Refugees die deutsche Games-Branche dazu auf, örtliche Flüchtlingsheime mit Sachspenden zu unterstützen. Unterstützt wird dasvon den deutschen Spieleverbänden BIU
und G.A.M.E.
- Workeer ist die erste Ausbildungs- und Arbeitsplatzbörse Deutschlands, die sich speziell an Flüchtlinge richtet. Mit der Plattform soll ein geeignetes Umfeld geschaffen werden, in dem diese besondere Gruppe von Arbeitssuchenden auf ihnen gegenüber positiv eingestellte Arbeitgeber trifft. Entstanden als Bachelorarbeit der Kommunikationsdesign-Studenten David Jacob und Philipp Kühn . Sie listet mittlerweile mehre hundert Arbeitsplatz- und Ausbildungsangebote in ganz Deutschland.
- Freifunkgruppen aus ganz Deutschland
vernetzen Flüchtlinge: Viele Flüchtlinge haben Mobiltelefone, aber keinen Datentarif. Über das Freifunknetz können sie kostenfrei Kontakt zu Angehörigen aufnehmen, sich über ihre neue Stadt informieren und auf lokale Informationsangebote sowie auf Informationen aus ihrer Heimat zugreifen.
- Die Gruppe 'Berlin Refugee Help' hat das Refugee-Phrasebook
aufgesetzt, ein Wörterbuch-Wiki, das zur allgemeinen Orientierung, mit medizinischem und juristischem Wortschatz in 28 Sprachen übersetzt.
- Ebenfalls in Berlin sammelt die Refuee Coding School alte Notebooks und Laptops, um für Flüchtlinge eine Programmierschule aufzubauen
- Seit kurzem bietet Jobbörse.de Jobs für Geflüchtete an
- Das Welcome App Concept
(auch als Facebook-Seite
) ist eine gemeinnützige Initiative der Saxonia Systems AG
und der Heinrich & Reuter Solutions GmbH
. Die App für IOS, Android und Windows Phone will validierte Informationen und Kontakte bereitstellen, um eine bessere Integration in Deutschland zu erleichtern.
- Die Kiron University
ist ein Crowdfunding-Projekt. Mit ihm soll eine nicht-staatliche Non-Profit-Organisation aufgebaut werden, deren Ziel es ist, einen kostenlosen Zugang zu Hochschulbildung zu öffnen. Zu Beginn sollen Flüchtlings-Studenten auch ohne Papiere mit den fünf populäre Bachelorstudiengängen Informatik, Ingenieurwesen, Betriebswirtschaft, Architektur und Kulturwissenschaften diejenigen angeboten werden, die in besonderem Maße vom Fachkräftemangel betroffen sind.
- Die Freelancerin
Birte Vogel
hat ein Übersichtsportal über Hilfsprojekte namens Wie-kann-ich-helfen.info
aufgesetzt. Insgesamt 400 Projekte werden hier dokumentiert
:
- Eine Google-Maps
hat auch Pro-Asyl eingerichtet. Sie zeigt Flüchtlingsräte in Deutschland.
- Zahlreiche weitere Gruppen , Kommunen und Privatleute organisieren Hilfsinitiativen per Internet, so in München , Berlin , Hamburg , Frankfurt und Köln .
- In der Schweiz ist #HilfefürCalais aktiv. Sie über soziale Netzwerke Spenden, die an die Flüchtlingslager am Ärmelkanaltunnel transportiert werden sollen
Digitale und interaktive Unterstützung wird bei den hier genannten Initiativen (und in allen anderen Regionen Deutschlands) immer noch gebraucht: Das Aufsetzen lokaler Websites und Unterstützungs-Pages, die Produktion von EMail-Newsletters, aber auch Onlinemarketing für die Organisation von Sach- und Geldspenden können Interaktivunternehmen, Agenturen und Dienstleister übernehmen. Wenn sie nicht einfach schlicht spenden wollen.
Eine Chance für den Digitalstandort Deutschland
Dass die Interaktiv-Branche bislang nicht aktiver ist, ist ein großer Fehler - nicht nur aus humanitären, sondern auch aus rein egoistischen Gründen für Land, Branche und Unternehmen:- Investitionsprogramm
Die Einwanderungswelle ist ein gigantisches Investitionsprogramm: Zehn Milliarden Euro wird die Bundesregierung allein dieses Jahr investieren: Für den Bau von Unterkünften, für zusätzliches Personal. Die Zivilgesellschaft wird sicherlich nochmals denselben Beitrag über Spenden aufbringen. Für direkte Hilfen, für Sprachschulungen und erste Eingliederungsmaßnahmen. Die Internetbranche ist gefordert: Zum Bereitstellen von Datenbanken, Communities und Internetportalen zur Organisation dieser riesigen Hilfen.
- Jungbrunnen
Die hunderttausenden von Einwanderern sind ein demografischer Jungbrunnen für das alternde und schrumpfende Deutschland. Die Internetbranche ist gefordert. Mit Deutsch-Lernsoftware und Integrations-Datenbanken, mit Hardware und Services zur Vermittlung von Wohnungen, Schulplätzen und offenen Lehrstellen.
- IT-Fachkräftemangel-Verringerung
Die Einwanderer können helfen, die Fachkräfte-Not der Interaktivunternehmen zu decken: Viele der geflüchteten Syrer sind nicht nur jung, sondern auch gut ausgebildet an einer der acht staatlichen und zahlreichen privaten syrischen Universitäten. Allein die größte in Damaskus mit ihren früher 85.000 Studenten hat mit Design und Informatik zwei Institute, die für Interaktivunternehmen interessant sind. Angesichts des Kriegs, den Assad von Anfang an gegen die für mehr Demokratie demonstrierende akademische Jugend geführt hat, werden sehr viele Studenten unter den Flüchtlingen sein, die mittelfristig als Mitarbeiter rekrutierbar sind.
Internetunternehmen können hier sowohl zeigen, wie menschlich als auch wie vorausschauend sie agieren können. Und sich ein Beispiel an der Old Economy nehmen: Daimler-Boss Dieter Zetsche hat angekündigt, Daimler wolle in Flüchtlingszentren Arbeitskräfte suchen und anwerben: "Die meisten Flüchtlinge sind jung, gut ausgebildet und hoch motiviert. Genau solche Leute suchen wir doch", begründete Zetsche die Entscheidung. Im Lahn-Dill-Kreis gibt es bereits als Pilotprojekt ein Azubi-Patenmodell . Solche Ansätze werden mittelfristig auch für digitale Unternehmen interessant.
Vier Szenarien zur Relevanz der "Flüchtlinge" für den Digitalstandort Deutschland
Investitionsprogramm
500.000 zusätzliche Zuwanderer jährlich bedeuten ein zusätzliches hochdigitales und junges 0,75% großes jährliches Bevölkerungswachstum, was für die Nachfrage nach Digitalprodukten und angepassten Digitalservices sorgt.
IT-Angestellte
Ein Teil der universitär ausgebildeten, jungen und computeraffinen städtischen Flüchtlinge kann auch bei IT-Unternehmen Beschäftigung finden. Das entspannt mittelfristig den Internet-Fachkräftemangel.
Rückkehrer
Die Flüchtlinge werden nicht sesshaft, sondern kehren bald wieder in ihre Ursprungsländer zurück, weil in Syrien Assad und IS besiegt sind / die Türkei sichere Rückzugsorte an der syrisch/türkischen Grenze schafft.
Branchenferne
Der Anteil an IT- und internetaffinen Flüchtlingen ist gering, weswegen kaum Beschäftigungseffekte für die Digitalindustrie entstehen.