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Management-Märchenwald Internet (8): Multichannel - eine Tragikomödie
05.10.2012 Kennen Sie den kürzesten ECommerce-Witz? Der geht so: "Treffen sich zwei Handelsmanager auf der Neocom in Wiesbaden. Sagt der eine: 'Wir machen jetzt in Multichannel!' Darauf der andere: 'Ja, wir müssen wohl auch Insolvenz anmelden…'"
"Männer, die auf Parkplätze starren" als E-Book
Noch mehr aus dem Management-Märchenwald Internet liefert das E-Book: "Männer, die auf Parkplätze starren" von Dirk Plos und Joachim Graf . Es kostet 3,99 Euro - also deutlich weniger als jeder Consultant pro Stunde verlangt.- aus dem griechischen Begriff "neo" (= neu) und
- dem englischen "Comedy" handelt.
Multichannel heißt ja wörtlich übersetzt "mehrere Kanäle". Und ist damit für die Idee dahinter eigentlich auch recht passend gewählt: Man versucht sein Abwasser nicht mehr nur durch einen Kanal zu leiten, sondern flutet den Markt gleich aus mehreren Richtungen. Dass dadurch die Menge der Sche… Exkremente nicht abnimmt, sondern sich nur stärker verteilt, lassen wir einfach mal dahingestellt bleiben. Sie merken schon: Ich halte nichts von Multichannel. Aber so rein gar nichts. Warum? Nun, ganz einfach: Es funktioniert nicht.
Und das hat einen Grund, sogar einen guten. Und der ist folgender: Um Erfolg zu haben, muss man sich auf eine Sache konzentrieren. Fokussieren eben. Wenn man tausend Leute beinah trifft, hat man am Ende gar keinen erwischt. Wenn man sich auf zwei Dinge gleichzeitig konzentriert, handelt es sich entweder um Brüste oder man konzentriert sich auf nichts richtig.
Hand aufs Herz: Wie viele Handelsunternehmen können Sie benennen, die wenigstens einen einzigen Kanal exzellent managen? Mir fallen da nur ganz, ganz wenige ein - und dummerweise sind das fast alles Online- oder Offline-Pureplayer wie Amazon , Zappos , Breuninger oder Edeka . Ganz ehrlich: Wenn man es nicht einmal schafft, einen Kanal vernünftig zu bespielen - wieso sollte der zweite oder gar die Kombination mehrerer Kanäle dann besser funktionieren? Weil die Unfähigkeit auf mehrere Medien verteilt und damit weniger gewichtig wird? Wohl kaum. Vielleicht fällt mein Scheiß nicht auf, wenn er verdünnt wird? Wer das glaubt, ist noch nie hinter einem Kult-Fahrzeug hergefahren. Ich meine einen Trecker mit Gülleanhänger: Der ist langsam, macht Kult-Kult-Kult und stinkt. Besitzt also alle drei Eigenschaften eines auf Multichannel gebürsteten deutschen Unternehmens (langsam, Kult, stinkt).
Auf der K5-Konferenz vor wenigen Wochen in München sagte ein Referent den treffenden Satz: "Wenn Sie einen funktionierenden Onlineshop haben - warum sollten Sie sich dann eine Filialkette ans Bein binden?" Recht hat er. Und wie verhält es sich umgekehrt? Sollte ich auch darauf verzichten, mir einen Onlineshop ans Bein oder sonstwo hin zu binden, wenn ich bereits eine funktionierende Filialkette habe? Ja. Wahrscheinlich sollten Sie das - es sei denn, Sie ziehen eine ganz bewusste, deutliche Trennlinie zwischen beiden Geschäftsbereichen.
Denn das ist das eigentliche Problem am "Multischännel": Die meisten Unternehmen bzw. Manager haben bis heute nicht begriffen, dass E-Commerce, der Verkauf in stationären Geschäften und der Versandhandel vollkommen unterschiedliche Geschäftsmodelle sind. Aber da man ja nun einmal eine sooo große und sooo erfolgreiche Organisation hat, versucht man, in dieser gleichzeitig mehrere Geschäftsmodelle zu führen. Funktioniert aber nicht.
Richtig Klasse wird es, wenn man dann einmal überlegt, wie es zu solchen Entscheidungen kommt… Ich stelle mir das so vor:
- Manager 1: "Auf der Neocom haben die Leute gesagt, unsere Zukunft liegt im Multitschännel."
Manager 2: "Ach, echt?"
Manager 1: "Ja. Uns graben die Pjur Pläier sonst das Wasser ab!"
Manager 2: "Pjur Pläier?"
Manager 1: "Ja, Zalando und Amazon und so."
Manager 2: "Ach, die nimmt doch keiner ernst! Erstens kann Amazon keine Kataloge, aber wir! Und zweitens ist Zalando doch eh nur so'n Kunstprodukt - warte mal, bis die Geld verdienen müssen, dann platzen die wie eine Seifenblase!"
Manager 1: "Ja, aber warum sollten wir nicht unsere Stärken auch in anderen Kanälen ausspielen?"
Manager 2: "Du meinst… Einkauf? Logistik? Katalogproduktion?"
Manager 1: "Genau! Kann doch nicht so schwer sein, den Katalog ins Internet zu kriegen!"
Manager 2: "Hm, da könntest du recht haben… Pass auf, ich kenne da vom Golfen den Jupp, der macht mit seiner Beratungsfirma genau sowas! Ich kann dem ja mal'n Strategieauftrag geben!"
- "Wir wollen jetzt Multichannel machen!"
- "Lassen Sie das lieber."
- "Na, gut."
Also fällt das Kind in den Brunnen - und der Wahnsinn geht erst richtig los. Im gesamten Unternehmen werden jetzt bis hinunter zur Poststelle alle auf Multichannel getrimmt. Gedruckte Werbebriefe werden eingescannt und per E-Mail verschickt. Die aktuelle Fernsehreklame (die mit dieser ganz bekannten Schauspielerin - sie wissen schon, die wo sie am Schluss den tollen neuen Katalog in die Kamera hält…) wird auf YouTube hochgeladen. Intern bombardiert man sich mit so vielen E-Mails, dass keiner mehr zum Arbeiten kommt. Es werden Intranets und Wikis eingeführt, dass es eine wahre Pracht ist. Dazu gibt es Schulungen, Workshops, Teambuildingmaßnahmen (der Hochseilgarten, Sie erinnern sich) und die Chefs rennen stolz mit ihren iPads und extralangen iPhones herum (Merke: Chefs haben *immer* den längeren, von daher ist das iPhone 5 auch ein echt bossiges Teil! Aber jetzt läuten wir erst einmal zur Pause.).
Sorglos, lobotomiert und moderig: So-Lo-Mo und das Geheimnis der Äpp
Und weil auf der Neocom alle gesagt haben, dass die Zukunft ja SoLoMo (nein, nicht "Sorglos, lobotomiert und moderig", sondern "Social, Local und Mobile") sei, macht man (mit Unterstützung von Jupp) eine Äpp. Wegen M-Commerce (dieser Begriff stammt übrigens von verwirrten Kunden, die die App aus Versehen installiert haben und dann davor sitzen und rätseln: "Mmmm…. Und was soll ich jetzt damit?").Außerdem macht man ja auch noch F-Commerce (hat nix mit dem bösen englischen F-Wort zu tun, auch wenn der Witz jetzt naheliegen würde, näheres siehe: " Das Commerce-ABC: 26 total zukünftige Zukünfte" ) und baut dort die größte Albernheit seit der Erfindung des Wahlversprechens ein: Um den Shop in Facebook nutzen zu können, muss man erst einmal auf den "Gefällt mir!"-Knopf drücken. Genial, oder? So schnellen die Fan-Zahlen nach oben! Das rockt! Oder auch nicht.
Stellen Sie sich mal vor, Sie planen die Anschaffung einer schicken neuen Trachtenjacke. Und gerade, als Sie ein entsprechendes Trachtenfachgeschäft betreten wollten, kommt ein freundlicher Türsteher und verwehrt Ihnen den Zugang mit den Worten,""Halt! Hier kommen Sie nur rein, wenn es Ihnen bei uns gefällt!"- "Äh… Wie bitte? Aber das weiß ich doch noch gar nicht!" - "Tut mir leid, aber so sind die Regeln! Zutritt nur für Fans!" Na, dann…
Aber zurück zum Ausgangspunkt: Multichannel funktioniert nicht. Natürlich kann man seine Verkaufsaktivitäten über verschiedene Kanäle abwickeln - aber das ist nicht Multichannel. Die Prozesse sind in den Haupthandelskanälen vollkommen unterschiedlich. Die Anforderungen ebenfalls - Was macht ein Onlinehändler plötzlich mit Bargeld aus den Filialen? Wieso brauche ich für mein Filialgeschäft eine Personaleinsatzplanung und für den Onlineshop nicht? Wieso kann ich (okay: konnte ich früher mal) beim Katalog 18 Monate vorher sortimentieren und habe im Internet dafür eigentlich nur noch ein paar Wochen Vorlauf? Und wie zum Teufel gehe ich um mit den unterschiedlichen Preisen für ein und dasselbe Produkt?
Und, nein, es ist für den Kunden auch kein "unschlagbarer" Vorteil, wenn er Sachen online bestellen und dann an der Kasse eines Stationärgeschäftes wieder zurückgeben kann. Der Kunde möchte auch selten in einem Stationärgeschäft vor ein Terminal gesetzt werden, um "in unserer hochmodernen E-Filiale" zu bestellen. Gehen wir doch zur Abwechslung einfach mal davon aus, dass der Kunde ein denkendes, intelligentes Wesen ist - und dass er sich ganz bewusst für einen Kanal entschieden hat.
Kannibalisiere Dich selber. Bevor es jemand anderes tut
Aus meiner Sicht gibt es für Versandhändler der alten Schule (so sie denn nicht bereits pleite sind) nur einen wirklichen Weg: Suchen Sie sich einen moderneren Kanal aus, in dem Sie exzellent werden. Kannibalisieren Sie sich selbst - sonst machen es die anderen. Denken und handeln Sie disruptiv - und, ja, trennen Sie sich früher oder später von den alten, obsoleten Geschäftsfeldern. Kurzum: Denken Sie voraus, was Ihre Kunden als nächstes tun und wollen werden - und handeln Sie entsprechend. Aber vor allem: Halten Sie die neuen Kanäle von den alten Managern fern. Die werden die nämlich immer versuchen, zu torpedieren. Denn das Alte - dafür waren ja eben diese Manager verantwortlich. "Und das hat doch schon immer funktioniert. Und dieser ganze neumodische Internetschnickschnack… Also, nee." Schließlich: "AGABU (Alles ganz anders bei uns)". Von daher gründen Sie lieber eine neue Firma, setzen Sie da echte Onliner rein und machen bitte keinen Riesen-Aufriss daraus, solange das neue Geschäftsmodell noch nicht funktioniert. Sonst spielen Sie bald selbst die tragische Rolle in der "Commedie Multichanelia".iBusiness-Autor Dirk Ploss war bis Mai 2012 Bereichsleiter Markenführung und Marketingkommunikation bei Otto und arbeitet nun mit seiner Ploss Consulting im Bereich Onlinemarketing und Management. Er inszeniert gerne in den Tragödien deutscher Onlinemarketingkongresse seine eigenen Komödien als Powerpoint-Version. Als iBusiness-Kommentator analysiert Dirk Ploss regelmäßig die wunderbare Welt von Unternehmen im nahen oder fernen Orbit rund um Interaktivmärkte aus der Innensicht.
Am: 05.10.2012
Zu: Management-Märchenwald Internet (8): Multichannel - eine Tragikomödie
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gut gebrüllt, Löwe. Auf jeden Fall laut ;)
Keine Regel ohne Ausnahme, würde ich jedoch hier als Floskel einbinden.
Zumindest lohnt sich aus meiner sicht für "Spezial-Anbieter" die von Ihnen erwähnte hochmoderne E-Filiale. Beispiel: Canyon ist ein Fahrradhersteller aus Koblenz, seit Jahren am Markt und nur online zu erhalten. Wie aber sollte man aufwändige Retouren von halb zusammengebauten, halbzerkratzten Fahrrädern besser in den Griff bekommen, als mit einer physischen Filiale. Dort kann das gewünschte Fahrrad Probe gefahren werden, Ausstattungen, Rahmenhöhen etc. verglichen und Berater befragt werden.
Wenn die Kaufentscheidung gefallen ist, wird man zu einem Terminal geleitet, bei dem man dann das gewünschte Fahrrad online kaufen kann. Aus meiner Sicht also für erklärungsbedürftigere, physisch sperrigere und funktional anspruchsvollere Produkte eine wirklich gute Einrichtung.
Ansonsten gebe ich Ihnen in den meisten Aussagen recht, auch wenn ich weniger Fäkalsprache angewandt hätte ;)
Bis demnächst,
Ralf Haberich.
www.web-analytics-blog.de
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Das Entscheidende ist doch, kehre zunächst vor deiner eigenen Türe, sprich, optimiere zunächst deine Kernkompetenz. Es erschließt sich mir nicht, warum ein Katalogversender im Stationärhandel mitmischen muß. Das sind Welten...Zumal, wenn man vor lauter Stolz auf die bisherigen großartigen Leistungen, komplett beratungsresistent geworden ist. Was hier nicht behandelt wird, warum schaffen es umgekehrt Pure Onliner in den Katalogversand einzusteigen und gestalten relativ problemlos die Kataloge der Zukunft zum Zwecke der Anstoßregulierung?
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Das Entscheidende ist doch, kehre zunächst vor deiner eigenen Türe, sprich, optimiere zunächst deine Kernkompetenz. Es erschließt sich mir nicht, warum ein Katalogversender im Stationärhandel mitmischen muß. Das sind Welten...Zumal, wenn man vor lauter Stolz auf die bisherigen großartigen Leistungen, komplett beratungsresistent geworden ist. Was hier nicht behandelt wird, warum schaffen es umgekehrt Pure Onliner in den Katalogversand einzusteigen und gestalten relativ problemlos die Kataloge der Zukunft zum Zwecke der Anstoßregulierung?
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gut gebrüllt, Löwe. Auf jeden Fall laut ;)
Keine Regel ohne Ausnahme, würde ich jedoch hier als Floskel einbinden.
Zumindest lohnt sich aus meiner sicht für "Spezial-Anbieter" die von Ihnen erwähnte hochmoderne E-Filiale. Beispiel: Canyon ist ein Fahrradhersteller aus Koblenz, seit Jahren am Markt und nur online zu erhalten. Wie aber sollte man aufwändige Retouren von halb zusammengebauten, halbzerkratzten Fahrrädern besser in den Griff bekommen, als mit einer physischen Filiale. Dort kann das gewünschte Fahrrad Probe gefahren werden, Ausstattungen, Rahmenhöhen etc. verglichen und Berater befragt werden.
Wenn die Kaufentscheidung gefallen ist, wird man zu einem Terminal geleitet, bei dem man dann das gewünschte Fahrrad online kaufen kann. Aus meiner Sicht also für erklärungsbedürftigere, physisch sperrigere und funktional anspruchsvollere Produkte eine wirklich gute Einrichtung.
Ansonsten gebe ich Ihnen in den meisten Aussagen recht, auch wenn ich weniger Fäkalsprache angewandt hätte ;)
Bis demnächst,
Ralf Haberich.
www.web-analytics-blog.de
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stilistisch finde ich den Artikel durchaus ein leuchtendes Beispiel in der Welt der ernsthaften Themen.
Ernsthaft stellt sich die Frage nach Multichannel.
Hm. Gibt es Multichannel erst seitdem es E-Commerce gibt?
Nö.
Da gab es Firmen, die haben über den Fernseher verkauft und die äußert Commedy haften Verkaufsshows gemacht. Und da gab es Firmen, die haben Bestellungen per Post und auch per Telefon aufgenommen. Grundsätzlich sind das ebenfalls mehr als 2 Kanäle. Hat funktioniert. Zumindest kann das ein oder andere Unternehmen behaupten, dass sie erfolgreich waren!
Waren! Was hat sich geändert?
Geändert haben sich logistische Randbedingungen. Die Pure Player schaffen es, ihre Produkte VIEL schneller und anderen Bedingungen (Thema Versandkosten) zu verschicken. Supi!!!
Und aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich etwas anderes geändert. Das Kaufverhalten des Konsumenten. Menschen kaufen Produkte und nehmen Services in Anspruch. Und sie nehmen u.a. die Dinge des Lebens in Anspruch, die ihnen einen Vorteil und mehr Komfort bieten.
Bieten Pure Player einen Vorteil, so wird Herr und Frau Mustermann Online bestellen.
Bieten Filialhändler mehr haptisches Erleben, so werden Herr und Frau Mustermann shoppen gehen.
Wenn es die Möglichkeit gibt über ein Smartphone schneller, schöner oder zuerst an das begehrte Gut zu kommen, so werden die beiden vielleicht das erste Mal M-Commercen.
Genau.
Herr und Frau Mustermann werden entscheiden was geht und was nicht geht. Sie sind das Zünglein an der Waage von Multichannel.
Vielleicht zählt das Sprichwort "Schuster bleib bei deinen Leisten" (wow, wie alt ist das denn)
und jeder sollte das tun, von dem er am Meisten versteht. Wenn dem so wäre gäbe es kein Licht. Keine Weltraumfahrt. Kein Amazon. Kein Zalando.
Entscheidend ist das richtige Konzept zu fahren, mit dem ich die Bedürfnisse des Konsumenten treffe und ihm einen Mehrwert liefere. Und die Frage müssen sich die "Klassiker" stellen. Liefert mein Katalog, den ich ins Netz stelle einen Vorteil? Erwarten das meine Kunden? Erwarten das meine potentiellen Kunden? An der Stelle sind die Manager sicherlich gefordert, Geschäftsmodelle und Vorgehen auf den Prüfstand
zu stellen. Wohlgeliebte Gepflogenheiten zu überdenken und gegebenenfalls neu zu ordnen.
Wie auch immer ....
Herr und Frau Mustermann werden entscheiden.
Dann wird es Gewinner geben, und solche, die sich hinten anstellen müssen.
Freue mich schon auf das nächste Drama.
Andreas Kopatz