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Ende der SAP CX-Suites? Wie sich Digitalagenturen strategisch positionieren
09.02.2023 Der Softwarekonzern SAP will sich in Zukunft auf "sein Kerngeschäft besinnen" und die SAP-Anwendervereinigung fragt zurecht: Was wird in Zukunft aus den CX-Produkten? Die von uns befragten SAP-aktiven Digitalagenturen sehen die Situation gegenwärtig noch entspannt, haben aber ebenfalls Fragen.
Deutschlands SAP-fokussierte Agenturen sind sich uneins, wie die geänderte SAP-Strategie zu bewerten ist. Jörg Oberdieck , Customer Success Manager und Senior Business Consultant bei der SQLI Deutschland nimmt an, "dass SAP sich auf die Produkte fokussieren wird, die eng mit ihren originären Prozessen (z.B. Lead to Cash) in Zusammenhang stehen. Diese sind neben SAP Commerce Cloud sicherlich die SAP Sales Cloud und die SAP Service Cloud."
Thomas Regele wiederum beruhigt. Der CEO von Sybit GmbH ist sich sicher: "Die Aussagen von Christian Klein können leicht missverstanden werden. Wir sind einer der langjährigen, erfolgreichen Top CX-Partner der SAP und sehen kein abflauendes Interesse an deren CRM-Lösungen - im Gegenteil. Wir verstehen, wenn sich Unternehmen durch die Aussagen, dass sich SAP auf sein Kerngeschäft besinnen will, verunsichert fühlen. Wenn man die Pressekonferenz aber im Original sieht, relativiert sich das Bild stark."
Er ist sich sicher: "Investitionen in CX-Produkte werden nicht abnehmen. Dass ein Hersteller wie SAP Modifikationen am Portfolio vornimmt, gehört zum Geschäft. Wir gehen davon aus, dass die Lösungen aus dem CX-Portfolio noch stärker an Fokusindustrien ausgerichtet werden und entsprechend investiert wird."
In dasselbe Horn stößt Christoph Hecker
, SAP-Experte im CX-Umfeld bei Team Neusta
: "Das CX- und CRM-Portfolio werden einen festen Platz in der Produktstrategie bei SAP behalten, da diese Themen zu den Kerngeschäftsprozessen von Unternehmen gehören." Christian Otto Grötsch
stimmt ihm zu. Der Gründer und Geschäftsführer Dotsource
argumentiert: "Die SAP Sales und Service Cloud wurden nun auf der Plattform SAP BTP neu gelauncht und bewegen sich damit näher am SAP Core. SAP investiert also weiterhin und stark im Bereich CX." Er sieht die SAP Commerce Cloud nach wie vor als führendes Produkt, um digitale Kundenerlebnisse zu gestalten. "Insbesondere Trendthemen, die die Geschäftsmodellflexibilität fördern, wie zum Beispiel Microservices und entkoppelte Frontends, lassen sich mit SAP sehr gut umsetzen."
Nicht so optimistisch hingegen ist Gunnar Rohde
, CEO bei Striped Giraffe Innovation & Strategy
. Er kritisiert den strategischen SAP-Ansatz prinzipiell: "Die erste Frage, die sich SAP zu stellen scheint, lautet: Was bringt es der SAP? Es ist doch so, dass in Zeiten von hybriden Architekturkonzepten Kunden immer weniger von einem Software-Anbieter abhängig sein wollen. An sich sind SAP-Produkte durchaus wettbewerbsfähig. Aber wenn einem die Kunden nicht das Wichtigste sind, dann läuft einem die Konkurrenz schnell den Rang ab."
Thomas Regele lobt SAPs "starke neuen Produkte wie die SAP Intelligent Service Cloud und die neue SAP Sales Cloud V2", sieht zudem auch Vorteile bei den zugekauften Produkten: "Emarsys, vor allem in Kombination mit der SAP Commerce Cloud, ist ebenfalls sehr stark nachgefragt." Gunnar Rohde sieht die Zukäufe hingegen kritisch: "Jedes Unternehmen, das heute in die Digitalisierung investiert, sollte sich zuallererst die Frage stellen: Welchen Mehrwert bringt dies meinen Kunden? Genau hier versagt die SAP mit all ihren Zukäufen regelmäßig."
Auch Jörg Oberdieck malt ein dickes Fragezeichen: "Ob die Anteile an Qualtrics
nun veräußert werden oder nicht, kann nur SAP beantworten. Hinsichtlich Marketingautomatisierung ist die SAP Marketing Cloud bereits abgekündigt und nicht mehr bestellbar. Somit bleibt Kunden, die hier auf eine Lösung der SAP setzen wollen, nur Emarsys
, was sicherlich noch Entwicklungspotenzial im Bereich B2B hat." Aus seiner Sicht offen ("aber auch bei den Kunden total unterschätzt") sei das Thema SAP Customer Data Cloud CDC bzw. die Cloud-Based Customer Data Platform (CDP). Er mutmaßt: "Da sich beide Produkte (zumindest nach unseren Informationen) aber nicht wie gewünscht entwickelt haben, liegt es im Bereich des Möglichen, dass diese entweder eingestellt oder nicht weiter entwickelt werden, oder sogar über eine Veräußerung nachgedacht wird."
Thomas Regele hofft auf den Vernetzungsaspekt, mahnt aber ebenfalls Klärung durch SAP an: "Der SAP CX-Markt wächst auch weiterhin. Die End-to-End Vernetzung der Lösungen vom klassischen CRM bis hin zum Kundenserviceportal bleibt bei SAP einzigartig. Dass hier nicht gerüttelt wird, bekommen wir auch von der SAP zurückgespielt. Es ist aus unserer Sicht also geboten, dass Christian Klein seine Aussagen präzisiert und unseren Kunden eine eindeutige Perspektive kommuniziert und damit auch die nötige Sicherheit gibt."
Zur Zukunft von SAP in Marketing und Commerce nimmt Gunnar Rohde eine pragmatische Position ein: "Als IT-Dienstleister orientieren wir uns in erster Linie an den Bedürfnissen unserer Kunden, und zwar unabhängig der Software. Nach wie vor halten wir SAP CX für eine der besten E-Commerce-Lösungen am Markt. Wir würden uns nur wünschen, dass sie mehr aus ihren Vorteilen machen und sie sich mehr an ihren Kunden orientieren." Christoph Hecker will weiterhin einen großen Fokus auf den CX-Bereich legen: "Aus unserer Sicht ist das Potenzial am Markt vorhanden - insbesondere die übergreifende Beratung aus ERP und CX. Zudem fragen unsere Kunden vermehrt diese Leistungen an." Christian Otto Grötsch will "als agnostische agierende Digitalagentur" bei erfolgreichen CX-Projekten "stets den Kundennutzen in den Vordergrund stellen." Er mahnt: "Für SAP CX wird der Schlüssel dazu in der nahtlosen und einfachen Integration der Einzelsysteme liegen."
SAPs Probleme mit Marketing und Commerce
Mit welchen Schwierigkeiten SAP zu kämpfen hat, zeigt unter anderem die Auszählung der meistgenutzten Software-Werkzeuge der deutschen Top-1.000-Onlineshops (siehe iBusiness: Diese EMail-Marketing-Lösungen setzen deutsche Shops ein und Shopsystem-Ranking der deutschen Top-1.000-Shops ).
Obwohl SAP enorme Summen in den Zukauf und die Entwicklung von Marketing- und Shoplösungen gesteckt hat, bleibt der Erfolg überschaubar. Während Wettbewerber Salesforce
mit seiner ECommerce-Anwendung kontinuierlich Marktanteile gewinnt, verliert SAP kontinuierlich Kunden in den Top-1.000-Shops. Zuletzt dümpelte das Unternehmen hinter dem Mittelständler Oxid ESales
gerade einmal auf Platz 5 im Ranking.
Noch schlechter sieht es bei der Marketing-Lösung aus: Die selbst entwickelte Software ist gerade einmal bei zwei Unternehmen der Top-1.000 installiert. Zuletzt zog SAP ob dieses Misserfolgs die Notbremse und kaufte einfach den Marktführer Emarsys
auf. Noch ist diese Software nicht in die SAP-Welt integriert und wird nicht einmal unter eigenem Label, sondern als "Emarsys - an SAP Company" vermarktet. Was aber weit schlimmer ist: Während Wettbewerber Salesforce eine beträchtliche Zahl seiner Kunden dazu bringt, vollständig in die Salesforce-Welt einzuschwenken und E-Commerce- und Marketing-Software aus einer Hand zu verwenden, gelingt dies SAP gar nicht. Die von SAP zugekauften Emarsys-Kunden nutzen häufiger ECommerce-Systeme der Konkurrenz als die eigene Anwendung. Und auch umgekehrt gibt es kaum Synergien.
SAP hat auf unsere Anfrage übrigens nicht reagiert.