Zum Dossier 'Temu-Strategie'
Freitags-Lage 16/12: #KeinGeldfürRechts, Judenverfolgung und Programmatic
16.12.2016 Kaum eine Aktion hat die Werbebranche so aufgewühlt, wie die Aktion #KeinGeldfürRechts - bei dem Markeninhaber darauf aufmerksam gemacht wurden, auf welchen rechten, rechtspopulistischen und rechtsradikalen Websites ihre Werbung eingeblendet wurde. Der Initiator bekommt Morddrohungen, einen Tritt von seinem Chef und verliert seinen Job.
- Der bei Scholz & Friends beschäftigte Werber Gerald Hensel startet über Twitter die Aktion #KeinGeldfürRechts . Hensel ruft in zwei Tweets und einem Beitrag werbetreibende Firmen dazu auf, das rechtspopulistische Portal Breitbart, aber auch eine Reihe von deutschen rechten Websites von Werbeerlösen abzuschneiden.
- Dazu stellt Gerald Hensel eine Liste von Websites zusammen - die Bandbreite reicht dabei von Alt-Right-Sites wie Breitbart bis hin zu Kommentatoren und Bloggern im Flüchtlinge und Islam ablehnenden rechten Spektrum.
- Das nach eigener Definition "liberal-konservative" Online-Portal 'Tichys Einblick' (Ex-Wirtschaftswoche-Chef Roland Tichy ) und das erzkonservative Blog 'Achse des Guten' (Henrik M. Broder ) beklagen einen massiven Anzeigen-Einbruch.
- Broder nennt Hensel in seinem Blog einen "Denunzianten" und "Schmock" und vergleicht seine Initiative mit nationalsozialistischer Hetze gegen Juden und zieht eine Verbindung zu den EU- und Bundesregierungsetats von Scholz & Friends.
- Darauf bricht, wie erwartet ein Shitstorm gegen Hensel wie Scholz & Friends los. Die Agentur kassiert tausende von Negativbewertungen auf Facebook . Hensel selbst sagt : "Ich bekomme seit sieben Tagen täglich Tausende von Hass-Tweets und Facebook-Messages, es wurden mehrere Fake-Profile mit meinem Namen angelegt. Menschen arbeiten sich durch insgesamt 22.000 meiner oft politischen Tweets, um mich dann in Foren als Antisemit zu zeichnen. So startet dann die nächste Angriffswelle."
- Scholz & Friends-Chef Stefan Wegner distanziert sich in einem Blogbeitrag von Hensel, kritisiert eine undeutliche Trennung von rechten und rechtsextremen Websites ("#keingeldfürrechts ist provokant und hat an einigen Stellen unnötig provoziert. Geralds Reaktionen auf die ersten Anfeindungen waren überzogen und beleidigend.").
- In einer Stellungnahme des Unternehmens distanziert sich die Agentur noch einmal deutlich: "Wenn es von wem auch immer erstellte Listen gibt, auf dem unabhängige Medien, wie "Tichys Einblick" oder "Achgut" genannt werden, dann kritisieren wir das in ausdrücklicher Form. (...) Die politischen Aktivitäten unseres ehemaligen Mitarbeiters Gerald Hensel sind zu keinem Zeitpunkt im Namen von Scholz & Friends erfolgt."
- Gerald Hensel und Scholz & Friends trennen sich. Hensel erklärt, er habe sich entschlossen, "das Vertragsverhältnis zu beenden". Er will sich im Wahlkampfjahr 2017 mit den wirtschaftlichen Mechanismen von Hate Speech auseinandersetzen: "Es gibt Leute, die haben manipulative Interessen daran, dass Menschen dauerwütend sind."
- Die Aussage "Wenn ihr hier Werbung schaltet, dann kaufen wir nicht bei Euch" ist in meiner Betrachtung etwas prinzipiell anderes als ein "Deutsche, kauft nicht bei Juden". Es geht um TUN gegenüber SEIN: Während #KeinGeldfürRechts ein (individuelles) Handeln bekämpft, richtet sich die NSDAP-Aktion gegen (tatsächliche oder vermeintliche) Merkmale. Auf rechten Websites Werbung zu schalten - das kann man beenden. Jude, Flüchtling oder Schwarzer zu sein, nicht.
- Schon vor einigen Wochen hatte Testberichte.de analysiert, auf welchen seriösen Websites Fakenews-Seiten Werbung schalten
- und die entsprechenden Publisher darauf aufmerksam gemacht. Das führte zu deulich weniger Shitstorm als #KeinGeldfürRechts.
Zeigt aber, dass das Programmatic Advertising immer noch in den Kinderschuhen steckt. Noch immer können Werbetreibende nicht exakt aussteuern, auf welchen Websites ihre Werbung erscheinen soll - und auf welchen nicht.
Die werbetreibende Industrie braucht mehr Daten von den Programmatic-Netzwerken über die Zielseiten
Sexsites, Nazi- und Versxchwörtungsportale: Schon vor vielen Jahren, als Bannertausch-Programme das Non-plus-Ultra der Werbeverbreitung waren, wurden diese von den Netzbetreibern ausgefiltert - beziehungsweise Filterfunktionen für Werbung angeboten. Völlig ohne Judenverfolgungsrhetorik.Angesichts kaskadierender RTA-Systeme und wachsender Marketingautomation wird die Programmatic-Branche nicht umhin kommen, ihre Inventare automatisch oder Tag-basiert so zu klassifizieren, dass für die Werbetreibende Industrie klar ist, wo ihre Werbebotschaften erscheinen, und wo nicht.